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I
f^ t ^
/
■A
DIE
UNIVERSITÄT BOLOGNA
IM MITTELALTER.
VORTRAG
VON
RUDOLF LEONHARD,
PBOFESSOB DER RECHTS WISS£NSCHAVI IN HABBUBO.
LEIPZIG,
VERLAG VON VEIT & COMP.
1888.
Wl
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'die
UNIVERSITÄT BOLOGM
IM MITTELALTER.
VQRTBAG
RUDOLF LEONHARD,
pfforggnoM uLU, itLilHiBWTäBMiauiiA»! m a-imunur
LEIPZIG,
VEIT & COMP.
1888.
Hji^^'50-5,S".ll.5-S-
J
«L^^
July 25^ 1910.
From the Qötate of
Prof. -Charles Qroe«.
Druck von Metzger & Wittig in Leipzig,
'«••
• • ". *"\ ,
^orworf.
^tJer nachstehende Vortrag^ welcher für das nicht-
juristische Publikum die Bedeutung des mittelalter-
liehen Bologna darzustellen sucht, wurde, als der
Verfasser in Göttingen Professor war, daselbst im
Jahre 1883 gehalten und im folgenden Jahre in der
Zeitschrift „ Nord und Süd'', XXX. Band, S. 211 u. flg.
abgedruckt Die bevorstehende Jubelfeier der Uni-
versität zu Bologna gab Veranlassung ^ ihn in un-
veränderter Gestalt selbständig zu veröffentlichen.
Marburg, Ende April 1888,
J^. Jßeonliard.
DEM ZEITIGEN RECTOK
DER
UNIVERSITÄT ZU MARBUEÖ
DE. FERDINAND JUSTI
IN AUFRICHTIGER VEREHRUNG
GEWIDMET.
US Sage und Dichtung ist der Schiffer wohlbekannt,
der träumend auf das Wasser hinstarrt und zwischen
den schwanl^enden Schaumwellen in der blauen Tiefe das Bild
einer einstmals in das Meer versunkenen Stadt erblickt.
Allein schwerlich mögen Alle, welche eine derartige Vision
als ein Gebilde ihrer Phantasie nachzuempfinden im Stande
sind, die wunderbare Erscheinung in derselben Gestalt er-
blicken, sondern das Bild wird ge^sslich bei einem Jeden
mehr oder weniger die Züge derjenigen Umgebungen tragen,
mit welchen gerade er die angenehmsten Erinnerungen zu
verknüpfen pflegt. Greift doch der Mensch in dem scheinbar
selbstlosen Spiele der Phantasie in der Begel zunächst
nach denjenigen Gestalten, welche seinen persönlichen Em^
pfindungen und Erlebnissen am nächsten stehen. Und bis zu
einem gewissen Masse thut er es auch bei dem Bückblicke in
frühere Zeiten. Sobald wir in das Meer der Vergangenheit
hinabblicken, werden wir am liebsten nach denjenigen Bil-
dern Umschau halten, welche als der Hintergrund rühmlicher
Grossthaten einstmals unser eigenes Herz erwärmt haben.
8 Die Universität Bologna im Mittelalter,
Das mittelalterliche BologDa wird in dieser Hinsicht wohl
gegen manchen andern Ort zurückstehen. Der Jurist aber,
der, um zu einem grösseren Kreise zu reden, aus der
Geschichte seiner Wissenschaft eine Vermittelung zwischen
seinem Berufe und den allgemein menschlichen Interessen
sucht, wird' in der mittelalterlichen berühmten Juristenschule
jenes Ortes in erster Linie eine solche zu finden glauben.
Freilich sind uns zur Wiederherstellung ihres Bildes nur
sehr mangelhafte und zum Theile recht unglaubwürdige
Quellen überliefert. Wir werden uns deshalb damit be-
gnügen müssen, über das minder Zweifelhafte einen Gesammt-
überblick zu suchen, der uns die Frage beantworten soll,
was die mittelalterliche Universität Bologna der Rechts-
wissenschaft und was sie uns Allen gewesen ist.
Eine geschäftige Sagenbildung* hat auch hinsichtlich
der Entstehung dieser Hochschule die Unterlassungssünden
der Geschichtschreibung auszugleichen gesucht. So galt es
durch Jahrhunderte fiir eine ausgemachte Sache, dass der
byzantinische Kaiser Theodosius II. diese Unterrichtsanstalt
gegründet haben soll. Obwohl Theodos überhaupt nicht in
Italien herrschte, so ist die erwähnte Tradition doch erst
in neuerer Zeit der Geschichtskritik zum Opfer gefallen.
So wie nun die Entstehung der Universität Bologna in das
unerforschliche Dunkel des Alterthums hineinragt, so ist die
Geschichte ihrer Grösse ein treffendes Abbild der vermitteln-
den Natur des geistigeu Lebens innerhalb des Zeitraumes,
Die Universität Bologna im Mittelalter. 9
welchen sie ausfüllt und dessen Eigenthümlichkeit in seiner
Benennung als „Mittelalter" einen wohl nicht beabsichtigten,
aber darum nicht minder zutreffenden Ausdruck gefanden
hat. Eben durch diese Vermittlerrolle unterscheidet sich
die Universität Bologna in jener Zeit von den Unterrichts-
stätten des klassischen Alterthums wie von denjenigen, welche
wir vor unseren Augen sehen, und hat auch andererseits
mit beiden gewisse Eigenthümlichkeiten gemein. Der antiken
Wissenschaft war es vergönnt, nur wenig beschwert durch
den Ballast unverständlicher Ueberlieferungen, mit dem
herrlichen Vorrechte der Unbefangenheit geradewegs auf ihr
Ziel loszugehen, frei von der Leitung einer obrigkeitlichen
Macht, freilich auch ohne die Pflege des Unterrichtes, welche
wir heutzutage als die Vorbedingung eines befriedigenden
Culturzustandes betrachten. Es ist nun zwar das Verdienst
der Theologie des Mittelalters, diesen Gedanken einer Für-
sorge für die Wahrung und Vermehrung der Geistesschätze
in ihren Klosterschulen und in den vorwiegend theologischen
Unterrichtsstätten, namentlich in der Universität von Paris,
wenigstens für kirchliche Zwecke verwirklicht zu haben.
Allein dies geschah in einer einseitigen und übertriebenen
Weise. Die Macht der Autorität wurde dort so sehr über-
spannt, dass die Sorbonne späterhin nicht mehr als eine
Quelle, sondern nur noch als ein Hemmniss der geistigen
Fortentwickelung galt. Dieser Eichtung entsprach ein grau-
sames Disciplinarverfahren, das nicht ohne Vorbilder im
10 Die Universität Bologna im Mittelalter,
römisch-byzantinischen Rechte war — sowohl in Paris als
auch schon früher in den kaiserlichen Schulen zu Rom
wurden Studirende zur Strafe ausgepeitscht. Diesem Geiste
entsprach ferner in Paris die Beförderung klosterartigen
Zusammenlebens, aus welcher sich die sog. bursae, gemein-
same Studentenwohnungen, von deren Namen das Wort'
„Bursche" herrührt, entwickelt haben.
Allen diesen Tendenzen gegenüber stellte sich Bologna
von vornherein in den denkbar schärfsten Gegensatz. Gleich
den Rhetorenschulen der Antike nur zusammengehalten
durch die Lust am Lehren und Lernen, verfolgte diese
Hochschule ursprünglich den Grundsatz unbedingter Lehr-
und Lernfreiheit. Der Papst Alexander III. vertheidigte
dieses ihr eigentliches Hauptziel gegen die Anmassung von
Prälaten, weil die Gabe zu lehren ein Geschenk Gottes sei,
welches Niemandem verkümmert werden dürfe. Allein nicht
nur dadurch, dass dieser Grundsatz nicht allzulange in seiner
vollen Reinheit erhalten werden konnte, sondern auch noch
durch einen andern entscheidenden Punkt, wichen die Auf-
gaben Bolognas von denjenigen der antiken Schulen ab.
Die griechischen Akademien waren zur Zeit ihrer höchsten
Blüthe den Barbaren grundsätzlich verschlossen; Bologna
dagegen hatte wie das römische Kaiserreich und das Christen-
thum einen durchaus internationalen Charakter. In charak-
teristischer Weise zeigte sich dies -durch die Thatsache,
dass man sogleich nach der Entdeckung von Amerika für
Die Universität Bologna im Mittelalter. 11
das neue Land, welches damals auch dort Indien hiess, eine
besondere Abtheilung in der Studentenschaft einräumte.
Andererseits war aber damals der FremdUng in seinem
Aufenthaltsorte mit dem Einheimischen nicht gleichberechtigt;
diesen Grundsatz konnte man auch in Bologna nicht fallen
lassen, sonst würde die Stadt in der Studentenschaft, welche
bisweilen über zehntausend Mitglieder gezählt haben soll,
leicht aufgegangen sein. Dabei konnte man aber den Gästen,
welche Beichthum und Blüthe der Stadt mit sich brachten
und zum Theile in ihrer Heimath Bang und Würden be-
sassen, die gedrückte Stellung blosser Schutzverwandter
nicht zumuthen. Allein noch ein anderer Umstand trieb
dazu, der Studentenschaft eine Selbständigkeit zu verleihen,
wie sie weder die früheren noch die späteren Zeiten ge-
kannt haben.
Die althellenischen Schulen lagen meist in geordneten
Gemeinwesen und konnten sich in denselben ruhiger Ent-
wickelung erfreuen. Bologna aber befand sich mitten in
dem Tummelplatze der nachbarlichen Eifersucht kleiner
Gemeinden. Der ganz Italien erschütternde Gegensatz von
Guelfen und Ghibellinen fand in dieser Stadt in doppelter
Hinsicht einen Anhaltspunkt, zunächst in dem Antagonismus
zwischen den päpstlich-canonischen und den römisch-kaiser-
lichen Juristen, sodann in einer scharfen Bildung zweier
Parteien, die sich, wie in dem bekannten Parteikampfe von
Verona, an je eine Adelsfamilie anschlössen. Bologna stand
12 Die Universität Bologna im Mittelalter,
ausserdem als Sitz eines Archidiakonus mit Rom in standigen
Beziehungen sehr verschiedenartigen Charakters; bald be-
stätigte der Papst die üniversitatsstatuten oder pries Bologna
als ein zweites Bethlehem, die geringste unter den Städten,
von welcher aber der Herzog, nämlich die weltbeherrschende
Jurispradenz, ausgehe, bald schleuderte er seinen Bannstrahl
gegen Stadt und Universität.
Zugehörig zu den lombardischen Städten, den hart-
näckigen Feinden des Kaisers Barbarossa, und zu wieder-
holten Malen eine Station auf den Römerzügen, lag Bologna
an einer Stelle, an welcher die gewaltigsten Weltmächte voll
Ingrimm auf einander zu platzen pflegten. In solcher Lage
war es nur eine Achtung gebietende Gewalt, welche die
Studien und die Person der Scholaren vor Unterjochungen
und politischen Kacheacten zu schützen, „die Tyrannen zu
schrecken und den Pöbel im Zaume zu halten'^ vermochte.
Wir dürfen uns daher nicht wundem, dass auch hier die
Göttin der Weisheit vom Kopfe bis zum Fusse bewaffnet
aus dem Haupte des Zeus entsprang. Es bildete sich
nämlich in Bologna inmitten der Gebundenheit des Lehns-
staates und der fast despotischen Kirchenverfassimg des
Mittelalters die höchst eigenartige Erscheinung einer be-
waffneten, wohlgegliederten, internationalen und republi-
kanischen Eidgenossenschaft. So dürfen wir wohl die Uni-
versität von Bologna nennen; denn der Eid hielt ihre
Mitglieder zu Schutz und Trutz zusammen.
Die Universität Bologna im Mittelalter. 13
Eichtiger freilich sprechen wir von zwei Uniyersitaten
in Bologna, welche sich im Hinblicke auf die Scheidemauer
der Alpen bildete , derjenigen der Gitramontani, d. h. der
Studenten, welche diesseits der Alpen heimisch waren, und
der andern der ültramontani, das sind, vom Standpunkte
der Italiener aus, die nicht italischen Völkerschaften. Beide
Universitäten spalteten sich in Nationen, welche ihre eigenen
Vorstände hatten, jede von beiden besass als Spitze des
Ganzen einen eigenen Rector. Die Macht dieser Bepublik
mag durch ihre Zweitheilung gemindert worden sein, sie
erscheint aber dann als doppelt gewaltig, wenn man bedenkt,
dass ihrer Körperschaft sehr mächtige und angesehene
Mitglieder aus allen Weltgegenden angehörten, Fürsten,
Grafen, Cardinäle und Prälaten, deren Einäuss in ihrer
Heimat ihnen nicht verloren ging und ihren Feinden »im
Nothfalle gewissermassen in den Rücken zu fallen vermochte.
Diese weltumspannende Studentengemeinde hiess tmiversitas
oder universitas sckolaritim; auf die Gesammtheit der Wissen-
schaften deutete das Wort Universität damals noch nicht
hin. Papst Honorius IH. spricht in derselben Bulle von
der universitas der Scholaren, d. i. der Studentengemeinde,
und der universitas von Bologna, der Gemeinde dieses Ortes.
Eine universitas doctorum, also eine organisirte Genossenschaft
von Professoren, wie wir sie von unseren Hochschulen kennen
und schon damals in Paris vorfinden, kam erst in späterer
Zeit auf.
14 Die Universität Bologna im Mittelalter.
Um dies zu begreifen, bedenke man, dass die wichtigsten
Aufgaben der gegenwärtigen Universitätsverwaltung jener
Zeit noch fremd waren. Davon, dass die Lehrkräfte durch
Sachverständige in planvoller Weise berufen werden sollten,
war noch nicht die Rede. Staa^tsprüfungen gab es noch
nicht; ebenso wenig wie die Verwaltung werthvoller Lehr-
institute. Es wird uns als etwas Besonderes berichtet, dass
man in Bologna Experimente über Magnetismus mit kleinen
Schwänen aus Metall angestellt habe. Hieraus bemesse
man den Werth der damaligen Apparate. Ueberhaupt war
von einem irgendwie bedeutenden Stiftungsfonds, der ver-
waltet werden musste, nicht die Rede. Aus der Noth wen-
digkeit einer Machtentfaltung und aus den durchaus anderen
Bedürfnissen des Universitätswesens in unserer Zeit im Ver-
gleiche zum Mittelalter ist es also zu erklären, dass in der
Universität von Bologna die Studenten herrschten und nicht
die Lehrer.
Zur Erläuterung dieses Zustandes dürfte der Umstand,
dass die Studenten damals durchschnittlich älter waren, als
heutzutage, wohl für sich allein nicht genügen. Wir er-
fahren allerdings von Studenten, welche decrepita aetate, also,
wie die neuere Studentensprache dies übersetzen würde, als
stark bemooste Häupter, mit Weib und Kind ihr Leben in
der ihr liebgewordenen Universitätsstadt beschliessen, an-
dererseits durften sich Manche, z. B. der grosse Dichter
Petrarca und die späteren Hauptsäulen der Jurisprudenz,
Die Universität Bologna im Mittelalter, 15
Bartolus und Baldus, rühmen, schon in dejai Alter von vier-
zehn Jahren der Studentenschaft angehört zu haben. Ent-
scheidend war vielmehr, dass es zur Leitung der bewaffne-
ten Studentenmyriade weit weniger der Weisheit und der
Milde des Alters, als jugendlicher Thatkraft und Wehr-
hafügkeit bedurfte. Ein junger Edelmann, welcher von Ju-
gend auf die Kunst zu gebieten beobachtet und geübt hatte,
mochte daher damals als das Musterbild eines Eectors er-
scheinen. Die uns erhaltenen Universitätsstatuten verlangen
demnach, dass der ßector ein Scholar der Universität sein
soll, ehrenhaft, tactvoU, besonnen und gerecht. Er sollte
wenigstens fünfundzwanzig Jahre alt sein und sich durch
ein mindestens fünQ ähriges Studium mit den Verhältnissen
des Ortes vertraut gemacht haben. Als eine Concession an
die Macht des Papstes müssen wir die Vorschrift ansehen,
dass der Rector ein Kleriker sein sollte. Mit Unrecht sträubt
man sich dagegen, diese Mittheilung wörtlich zu verstehen,
da ein streitbarer Gottesmann im eigentlichen Sinne des
Wortes in der Zeit des Mittelalters nichts Unerhörtes war.
Ausserdem sollte' der ßector Vermögen haben, um den
grossen Kosten des Amtes genügen zu können; denn die
Rectorwürde verlangte gleich den römischen Ehrenämtern
einen grossen Aufwand; hier, wie vielfach sonst, wurde die
republikanische Institution zur plutokratischen. Dass der
Rector späterhin das Recht hatte, umsonst zum Doctor
promovirt zu werden, mochte ihm schwerlich für die
16 Die Universität Bologna im Mittelalter.
Kosten seiner Herrschaft einen ausreichenden Ersatz ge-
währen.
Der Eector hatte in jedem Augenblicke einen ungehin-
derten Zutritt zu den beiden Hauptbeamten der Stadt, dem
podestd und dem oapitaneo, welche auch ihrerseits Eectoren,
nämlich Vec^ores civitatis, hiessen; auch konnte er jederzeit
eine Volksversammlung berufen lassen. Dem Eector zur
Seite stehen ausser einigen anderen Beamten namentlich die
sog. consiliarii der verschiedenen Nationen und die minde-
stens drei Mal jährlich berufene Generalversammlung der
universitas, welche mit schwarzen und weissen Bohnen ab-
stimmte.
Die Studentengemeinde gab sich selbst ihre Gesetze
und, wie sie selber einer häufigen inneren Umwandlung un-
terlag, so liess sie auch ihre Statuten alle zwanzig Jahre
neu revidiren. Ihre Gesetze enthalten Bestimmungen über
ihre Organe, über die Kleiderordnung, über die Sorge für
den Verkauf unverfälschter Bücherabschriften und ftir das
Bücherleihwesen, welches vor der Erfindung der Buch-
druckerkunst von ungleich grösserer Bedeutung war, als es
heutzutage ist. Aber sogar die Ordnung der Examina,
welche ft-eilich ursprünglich nicht zu Staatsämtern, sondern
nur zu akademischen Ehren den Weg bahnten, unterlag dem
Beschlüsse der Studentenschaft, also der Examinanden.
Man kann diesen einen gewissen Tact in der Ausübung der
genannten Befugniss nicht absprechen und es ihnen gewiss
Die Universität Bologna im Mittelalter, 17
nicht verargen, dass sie zu ihren Gunsten den Satz auf-
stellten, ein jeder Examinator solle den Candidaten so be-
handeln, als wenn dieser sein eigener Sohn wäre.
In dieser gewaltigen Studentengemeinde besass die Stadt
Bologna einen Gast, den sie mit gemischten Gefühlen be-
trachtete. Einerseits suchte sie ihn an sich zu fesseln, und
zwar nicht nur durch Privilegien, sondern oft auch durch
recht kleinliche Massregeln, z. B. durch Bestrafung eines
Jeden, welcher Scholaren nach anderen Universitäten lockte,
sogar durch Einschränkung der Bücherausfuhr. Anderer-
w
seits wurde ihr die bewaflfnete Jugend in mehrfacher Hin-
sicht recht unbequem. Nicht bloss von unerquicklichen Rang-
streitigkeiten zwischen den qnziani, den Vorstehern der
städtischen Zünfte, und den Vertretern der Universität wird
uns berichtet, auch ernstliche Reibereien wiederholten sich.
Einmal, im dreizehnten Jahrhundert, kam es so weit, dass
auswandernde Studenten die Universität Padua gründeten,
das quartier latin von Venedig, wie Ernst R6nan es nennt,
eine Hochschule, welche hiernach in ähnlicher Weise von
Bologna her entstanden ist, wie späterhin die Leipziger
Universität von Prag aus. Ein anderes Mal schworen die
Studenten, dass sie auf fünf Jahre auswandern wollten,
wenn die Stadt nicht ihren Willen thäte; als aber die Stadt
nicht nachgab, Hessen sie sich auf Befehl des Papstes von
ihrem Eide entbinden und blieben.
Am deutlichsten aber zeigte sich die Macht der Uni-
2
18 Die Universität Bologna im Mittelalter,
versität von Bologna in ihrem Verhältnisse zu den beiden
Mächtigsten unter den Hohenstaufen; Friedrich Barbarossa
bewarb sich um ihre Gunst und Friedrichs des Zweiten
Wille scheiterte an ihrer Macht. Auf den Roncalischen Fel-
dern erliess Barbarossa im Jahre 1158 ein berühmtes Ge-
setz,, die sog. authentica „hahita" zu Gunsten der Scholaren ;
er sicherte ihnen eine privilegirte Gerichtsbarkeit und ein
freies Geleit zu. Letzteres war besonders in einer Zeit
wichtig, in welcher, wie richtig bemerkt worden ist, den
Reisenden die Obrigkeiten gefährlicher wareuj als die Stras-
senräuber. Darum wurde auch zu Bologna der Jahrestag
des roncalischen Reichstages durch Ausfall der Vorlesungen
gefeiert. Friedrich II. dagegen hob im dritten Jahrzehnte
des dreizehnten Jahrhunderts die der päpstlichen Gesinnung
verdächtige Universität auf und befahl ihr, nach Neapel
überzusiedeln, woselbst er eine neue Hochschule gestiftet
hatte. Die Bologneser Studentenschaft achtete dessen so
wenig, dass sie zum Trotze ausnahmsweise auch während
der Ferien in dem Sitze ihrer Hochschule verblieb. Der
mächtige Kaiser, dessen Arm sich von der Nordsee bis in
das heilige Land hinein Aditung zu verschaffen wusste,
musste gute Miene zum bösen Spiele machen und die Uni-
versität bald darauf wieder zu Gnaden annehmen.
Wenn so selbst der Kaiser mit der Macht der Studen-
tenschaft rechnete, so darf es uns nicht verwundem, dass
auch die Professoren den Schutz, welchen die Corporation
Die Universität Bologna im Mittelalter. 19
der Scholaren ihnen gewährte, durch eine gewisse Abhängig,
keit bezahlen mussten. Sie bedurften z. B., wenn sie ver-
reisen wollten, des Urlaubs bald seitens des Rectors, bald
seitens der Studentenschaft; sogar Geldstrafen mussten sie
unter Umständen an letztere zahlen. In der Universität von
Padua, deren Einrichtungen denjenigen von Bologna nach-
gebildet waren, wurden sogar die Lehrer von den Studen-
ten jährlich neu gewählt und auch in Bologna wurden zwei
Lehrstellen, welche man am Ende des dreizehnten Jahr-
hunderts schuf, von den Studenten besetzt. Diese eigen-
thümliche Unterordnung der Lehrer unter die Studenten
mag es, wenn auch nicht verzeihlich, so doch erklärlich er-
scheinen lassen, dass die Professoren von Bologna den
Scholaren gegenüber ihre Würde nicht immer genügend
gewahrt zu haben scheinen. Nach Mittheilungen italienischer
Novellendichter bewegte sich der Verkehr zwischen Lehrern
und Zuhörern bisweilen in einer Vertraulichkeit, deren
Schilderung komisch wirken soll, sehr leicht aber den ent-
gegengesetzten Eindruck machen kann. Dahin gehört auch,
dass ein Sohn des Rechtslehrers Accursius, selbst Professor
der Jurisprudenz, dem Papste um Ablass bittend beichtet,
dass sein Vater und er für Examina Geld von Studirenden
angenommen, auch ihnen Summen als Darlehen vorgestreckt
haben, um sie dadurch als Zuhörer zu gewinnen. Auch
sonst soll es vorgekommen sein, dass Lehrer sich auf diese
Art ihre Zuhörer, wie es in treiBfender Weise bezeichnet
20 Die Universität Bologna im Mittelalter,
worden ist, „mietheten". Auch die Gerichtsbarkeit, welche
der Kaiser den Professoren über die Studenten verlieh,
vielleicht, um ein Gegengewicht gegen ihre Abhängigkeit
zu schaflfen, soll, insoweit sie sich überhaupt erhalten hat,
was recht zweifelhaft ist, in sehr laxer Weise ausgeübt
worden sein. „Gott gebe," so klagt unser Gewährsmann,
„dass die Studenten nichts Böses thun; denn die Stra^ustiz
der Professoren taugt nicht viel."
Trotz aller dieser Thatsachen, welche wir zu den
Schattenseiten der Universitätsverhältnisse rechnen müssen,
dürfen wir doch nicht annehmen, dass die Lehrer von Bo-
logna sich in einer gedrückten Stellung befunden haben.
Das directe Gegentheil wird uns bezeugt. Wer eine
bewaffnete Macht lediglich durch die Macht seines Gei-
stes zu beeinflussen versteht, ist oft mächtiger, als
wer selbst Schwert oder Scepter schwingt und damit
Verantwortung und Missgunst auf sich nimmt. So schei-
nen in der That die Professoren von Bologna nach
aussen hin, wie in der Stadt, einen wahrhaft königlichen
Einfluss genossen zu haben. Von der Entscheidung der
sog. qitatuor doctores, der damals berühmtesten vier Rechts-
lehrer Bolognas, machte der Kaiser Barbarossa seine An-
sprüche auf Italien, von dem Schiedssprüche Bolognesischer
Gelehrten machten Fürsten und Erzbischöfe die Schlichtung
ihrer Händel abhängig. Der berühmte Jurist Azo soll
sich in der Stadt nicht anders gezeigt haben, als von Klienten
Die Universität Bologna im Mittelalter, 21
begleitet und unter dem Vortritte seines Pedellen. Auch
für die Aufstellung von Bildern und Statuen angesehener
Lehrer sorgte die Studentenschaft; es herrschte sogar die
eigenthümliche Sitte, dass das zu diesen Ehrenbezeugungen
erforderliche Geld jährlich am Tage des ersten Schneefalles
von den Scholaren in der Stadt durch Erbittung von Bei-
trägen gesammelt wurde. Ein engerer Kreis der Professoren,
die sog. doctores coUegiati, erhielt in späterer Zeit Ritter- und
Pfalzgrafenwürde. In dem engeren Gemeinderathe der
Stadt, welchem sie ohne Weiteres angehörten, spielten sie
die erste Rolle, und wenn der Jurist Odofredus im drei-
zehnten Jahrhunderte ein Mal voll Unmuth den Ausspruch
that, dass die Plebejer der Stadt auf ihre Gelehrten nicht
mehr hörten, als auf Esel, so müssen wir doch nach an-
deren Zeugnissen annehmen, dass ihn nur der Unmuth über
irgend einen besonders ärgerlichen Vorfall zu diesem nicht
eben geschmackvollen Vergleiche hingerissen haben kann.
Andererseits gab die Angehörigkeit zu der Studenten-
gemeinde den Professoren einen starken Rückhalt gegen die
Anforderungen der Gemeinde von Bologna, welche ihre be-
rühmten Rechtslehrer in ungebührlicher Weise zu Gesandt-
schafben ausnützte und sie sogar unter Umständen zwang,
den Lehrstuhl mit dem Schlachtrosse zu vertauschen. Darum
liess sich die Studentenschaft durch ein besonderes Gesetz
Freiheit vom Kriegsdienste für sich und für ihre Lehrer
zusichern.
22 Die Universität Bologna im Mitidalter.
So lebten die Professoren von Bologna, befreit von allen
Verwaltungssorgen, keinem Menschen für ihre Lehrthätig-
keit und ihre Geistesschöpfungen verantwortlich, lediglich
ihrem wissenschaftlichen Berufe, nicht gestützt auf irgend
welches Privileg, sondern lediglich auf den ßuhm und Erfolg
ihrer Leistungen, und bildeten hierdurch eine Aristokratie
nicht der Geburt noch des Banges, wohl aber eine solche
der Tüchtigkeit, vor welcher selbst die Grossen jener un-
^ gelehrten Zeit ihr Knie beugten. Später freilich entstand
unter berühmten Rechtslehrem eine Unzufriedenheit über
ihren geringen unmittelbaren Einfluss. Sie lehrten, dass
von Rechtswegen die Studenten den Lehrern gegenüber
genau so stehen müssten, wie der Lehrling zum Zunftmeister.
Der Papst war diesem Streben nicht freundlich gesinnt,
aber die Stadt Bologna unterstützte es und, da es mit der
Aenderung der politischen Lage immer mehr gerechtfertigt
erschien, die üniversitätsmacht aus der Hand der bewaflF-
neten Studentenschaft in diejenige ihrer Lehrer zu legen,
so wurde das eine Hauptquelle der Annäherung an die-
jenigen Zustände, welche in unserem heutigen üniversitäts-
leben bestehen. Eine zweite Hauptquelle dieser Umwandlung
ging dagegen geradezu vom Papste aus. Honorius III. be-
klagte sich im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts darüber,
dass die Studirenden Lehrer annehmen, denen es an der
. nöthigen Gelehrsamkeit fehle, und beauftragte den Archi-
diakonus, die Zulassung der Lehrer prüfend zu beaufsichtigen.
I
Die Universität Bologna im Mittelalter. 23
Hier finden wir die ersten Anfänge einer obrigkeitlichen
Besetzung der Lehrstellen, der Bestellung eines Kanzlers
oder Gurators, eines Amtes, welches später, als Bologna
päpstlich wurde und die geistliche Regierung der Stadt die
Unterhaltung der Hochschule abnahm, dem Legaten des
Papstes zufiel.
Sehr viel älter als diese Oberaufsichtsbehörde war das
Unterpersonal der Universität, welches schon damals in
ähnlicher Weise thätig war, wie heutzutage, und den Namen
beddli oder bideUi führt; das P als Anfatigsbuchstaben unseres
Pedellen ist deutschen Ursprunges. Bäthselhaft ist die Ent-
stehung des Namens hedeüus. Manche wollen in demselben
die Bezeichnung des Fusssoldaten, Andere diejenige des
Stabträgers sehen. Leider können wir uns in diese inter-
essante etymologische Controverse nicht vertiefen; wir wollen
jedoch unseren Blick von diesen werthvoUen Gehilfen der
akademischen Thätigkeit nicht abwenden, ohne* hervorzu-
heben, dass auch Bologna einen .im wahrhaften Sinne
klassischen Bedell besass, nämlich denjenigen des Azo,
Namens Gallopressus. Dieser zeichnete sich theils durch
seinen wunderlichen Namen, theils durch seine Missgestalt
so aus, dass berühmte Bechtslehrer es fiir angezeigt hielten,
in ihren Gesetzescommentarien sein Andenken der Nachwelt
aufzubewahren und sogar die nicht unbedeutende Summe
anzugeben, welche er in seinem Berufe erworben hat.
Unter den Lehrgegenständen, welche die Lembefiissenen
24 Die Universität Bologna im Mittelalter.
bewogen, mit Mühen und Ge&hren, wie Barbarossa in dem
erwähnten Gesetze hervorhob, den Musensitz aufzusuchen ^
stand in Bologna die Jurisprudenz obenan. Wie die hohe
Schule von Salemo vorwiegend dem medicinischen, diejenige
von Paris dem theologischen Studium diente, so war Bologna
die eigentliche Juristenuniversität. Neben der Rechtswissea-
schaft kamen andere Lehrgegenstände erst später in grösserem
Umfange auf; so die Medicin, unter deren Lehrern Thad-
däus mehrfach hervorgehoben wird, so auf päpstlichen Antrieb
die Theologie; auch die Philosophie findet in späterer Zeit
Berücksichtigung. Auch einen approbirten Astrologen, Cecco
d'Ascoli, finden wir im vierzehnten Jahrhunderte unter den
Universitätslehrern; freilich schützte ihn seine Approbation
nicht davor, wegen seiner Lehrthätigkeit von der Inquisition
verbrannt zu werden. Die nichtjuristischen Studenten traten
schliesslich zu einer besonderen dritten Universität zusammen^
indem sie die Gemeinden der Citra- und Ultramontani ledig-
lich den Rechtsbeflissenen überliessen.
»^ Die mit besonderen Schwierigkeiten verknüpfte Aus-
legung der römischen Quellen war damals die populärste
aller Wissenschaften, so dass der Papst die Geistlichen durch
Verbot von ihr zurückhielt, damit sie nicht dem theologi-
schen Studium verloren gingen. Namentlich ist es für alle
Erklärer unseres corpus juris civilis erfreulich, dass an der
Geschichte seiner Wissenschaft auch das weibliche Element
nicht unbetheiligt ist. Nach einer, später wohl mit Unrecht
V
«
^
Die Universität Bologna im Mittelalter, 25
angezweifelten Nachricht soll eine Frauenhand zuerst auf
die Pandekten, den wichtigsten Theil der Eechtssammlung
Justinians, als die reichste Fundgrube juristischen Denkens
und Wissens hingewiesen haben; denn der Gräfin Mathilde,
der berühmten Feindin Heinrichs IV., wird die erste An-
regung zur Auslegung dieses Rechtsbuches zugeschrieben.^
Höchst ehrenvoll ist es femer für jeden Pandekten-Exegeten,
in der Tochter des berühmten Professors Accursius, der
Accursia, eine Vorgängerin gehabt zu haben. Schon frühe
schlug sie durch die Kunst der Quellenauslegung ihre Brüder
aus dem Felde. Später soll sie als Stellvertreterin ihres
Vaters Vorlesungen gehalten haben. Das Loos des Schönen
auf der Erde ereilte auch sie in ihrer Blüthe, sie wurde
von der Pest dahingerafft. Mit Unrecht hat man ihre mehr-
fach bezeugte Existenz bestritten.
Der Vater dieses hochbegabten Mädchens bildet den
Abschluss der ersten beiden hinter einander in Bologna
blühenden Schulen von Eechtsgelehrten, der sog. Glossa-
toren, welche des gewaltigen römischen Rechtsstoffes durch
erläuternde Anmerkungen (Glossen) Herr zu werden suchten.
Ihre Aufgabe war eine sehr schwierige. Die Werke der
klassischen römischen Juristen hatte man in Byzanz zer-
stückelt und in einer ungeschickten Weise durch einander
* Die inbaltreiclie Festschrift Fitting's: Die Anfänge der Rechts- ,
schule zu Bologna (Berlin und Leipzig, Verlag von J. Guttentag. 1888) |
i
gewährt auch über diesen Punkt nähere Aufschlüsse. (S. 96 u. flg.) »
26 Die Universität Bologna im Mittelalter,
geworfen. Sie enthalten ausserdem zumeist Entscheidungen^
welche die allgemeinen Sätze, auf die sie sich gründen,
nicht mittheilen, sondern voraussetzen, so dass sie uns die
schwer lösbare Aufgabe zumuthen, verloren gegangene
Gedankenreihen wiederherzustellen. Indem sich nun die
Glossatoren bemühten, diesen Stoff in seinen einzelnen
Theilen mit Fleiss und Unbefangenheit zu verstehen und
der übrigens wahrhaft beklagenswerthen Sprache ihrer
geistesarmen Zeit anzupassen , machten sie es durch ihre
mühevolle Arbeit überhaupt erst möglich, später aus den
Trümmern der' römischen Werke wieder ein Ganzes auf-
zubauen. Schon die folgende Schule der Postglossatoren,
welche auch in Bologna blühte, bemühte sich, auf den
Resultaten der Glossatoren weiterbauend, die vielen Einzel-
heiten zu allgemeinen Sätzen zusammenzufassen, ohne welche
sie in der Praxis nicht zu brauchen sind.
Wie aber ein jeder Systematiker von der philosophi-
schen Grundanschauung abhängig ist, welche er bewusst oder
unbewusst in sich aufgenommen hat, so geschah es auch
damals. Die Jurisprudenz gerieth in den Bann der in jener
Zeit herrschenden scholastischen Philosophie. Nicht ohne
Grund sind wir gewohnt, diese mit einer gewissen Scheu
zu betrachten; es erscheint uns jenes unheimliche, aber
doch grossartige Gemisch christlicher, orientalischer, antiker
und germanischer Ideen, welche man ohne geschichtliche
Kritik durch subtile Kunstgriffe zu einem einheitlichen Ge-
Die Universität Bologna im Mittelalter. 27
sammtbau zusammenfügte^ oft wie ein gewaltiger Sarkophag
des gesunden Menschenverstandes. So erklärt es sich auch,
warum die Jurisprudenz sich damals in ihren Grundzügen
von der nüchternen römischen Weltauffassung entfernte und
eine starke Beimischung von Schwerfälligkeit und Spitzfin-
digkeit erhielt, Fehler, deren letzte Nachwirkungen man hier
und da noch heutzutage spüren kann. Darin lag aber auch
der Keim des Verfalles der Jurisprudenz von Bologna, dass
sie, festhaltend an der überlieferten Lehre, sich am Ende
des Mittelalters zwei dringenden Anforderungen entzog, der
Rücksicht auf die inzwischen aufgeblühte humanistische Phi-
lologie und auf die Verdrängung der scholastischen Methode
durch eine einfachere und natürlichere Systematik. So
lenkte denn im sechszehnten Jahrhunderte das glänzende
Doppelgestirn des klassischen Philologen Cujacius und des
Systematikers Donellus den Strom wissenschaftlicher juri-
stischer Fortentwickelung von Italien nach Frankreich hin-
über, von wo er sich später nach Holland und Deutschland
ergossen hat.
Im Mittelalter wurde freilich, wie uns mitgetheilt wird,
ein deutscher Meister in Bologna nicht viel mehr geschätzt,
als ein beanics, dies bedeutet etwa so viel, wie das Wort
„Fuchs" in unserer Studentensprache. Damals sassen die
Juristen aller Länder zu den Füssen der Glossatoren und
Postglossatoren in Bologna, interpretirten mit äusserster
Gründlichkeit die Quellen, später leider vorwiegend nur
28 Die Universität Bologna im MittelaUer,
deren Commentare nnd schrieben sog. summae nach , d. h.
Ueberblicke über die verschiedenen Rechtsgebiete. Da die
Buchdrackerknnst noch nicht erfanden war, so ging mit
überflüssigem Nachschreiben viel Zeit verloren. Nachge-
schriebene Vorlesungen sind uns mehrfach erhalten. Die Pro-
fessoren scheinen ursprünglich in ihren Hausem gelesen zu
haben; im Noth&lle wurde der Gemeindepalast zu Hilfe ge-
nommen. Schon in jener Zeit findet sich die Eintheilung
der Professoren in ordentliche und ausserordentliche; doch
ist die damalige Bedeutung derselben sehr zweifelhaft und
entspricht der jetzigen jedenfalls nicht.
Neben den Professoren durften, jedoch nur unter Auf-
sicht ihrer Magistri und nur zu anderen Stunden als diese,
die Baccalaureen lesen. Das Wort hiess ursprünglich ha-
chalarius, im Altfranzösischen haehdier und bedeutet so viel
wie „Gehilfe"; mit dem Lorbeer {J/mrea) soll es, so wird
behauptet, nichts zu thun haben, doch dürfte es nicht un-
möglich sein, dass seine Verstümmelung durch eine sogen,
Volksetymologie im Hinblick auf das Wort laurea geschehen
ist, weil man die Erreichung der Baccalaureatswürde als des-
jenigen akademischen Grades, der zuerst erstrebt wurde, unter
Bezugnahme auf den Lorbeer des Dichters mit dem Namen:
laurea prima (in der Sprache der Prosa: „das erste Examenv*)
verherrlichte. Die Baccalaureen werden auch Lizentianden
genannt, d. h. solche, welche die volle Lehrerlaubniss, Li-
cenz, erst bekommen sollen, im Gegensatze zu den Licen-
Die Universität Bologna im Mittelalter. 29
tiaten, welche sie schon besitzen. Diese letzteren hiessen
abwechselnd dootores und magistrij also Lehrer und Meister.
Beide Ausdrücke waren auch in den Klosterschulen gleich-
bedeutend. Am Ende des Mittelalters tauchte übrigens die
Ansicht auf, dass ein blosser Uebermittler fremder Ideen
sich mit dem Titel des Doctors begnügen müsse, Meister
solle sich nur Derjenige nennen, welcher eigene Geistes-
schöpfungen aufweisen könne. Der bekannte Ausruf des
Faust: „Heisse Magister, heisse Doctor gar" steht damit
nicht im Einklänge.
Wer in Bologna lesen durfte^ dem gestattete ein päpst-
liches Privileg dies auch an anderen Orten. Allein diese
Lehrbeftigniss hörte auf, das alleinige Ziel der Promotionen
zu sein, vielmehr kamen neben den lesenden Doctoren
fdoctores legentes) blosse Titeldoctoren auf. Dabei erleich-
terte man die ursprüngUchen strengen Anforderungen,
welche sich auf ein funQähriges Kechtsstudium^ ein examen
rigorosum und die öflFentliche Vertheidigung einer Vorlesung
in der Kirche des heiligen Petrus gerichtet hatten. Statt
der Prüfung nahm man mit einer Sicherheit von 37 Gold-
stücken vorlieb, was wir als ein Vorbild des späteren Doc-
tors in absentia ansehen können. Allen Widerspruch hier-
gegen sollte ein Gnadenbrief Theodosius II. aus dem Felde
schlagen, eine zweifellos unechte Urkunde, deren innere
UnWahrscheinlichkeit man vermuthlich dadurch zu heben
suchte, dass man sie in der Kirche des heiligen Dominions
30 Die Universität Bologna im Mittelalter.
zu Bologna in Marmor eingraben liess. Schliesslich erhiel-
ten gewisse Familien, z. B. die Sforza, vom Kaiser das
Recht, Doctoren zu creiren. Mit dieser Verweltlichung einer
gelehrten Würde, einem Seitenstücke der in der Kirche ein-
gerissenen Missbräuche, ging es Hand in Hand, dass die
Privilegien der Doctorwürde und der Aufwand der Promo-
tion sich mehr und mehr steigerten. Der Doctor der Rechte
besass das Privileg, Kleider mit Gold und Pelzwerk jzjx
tragen, die Vorrechte des Adels, Freiheit von Steuern und
Kriegsdienst; auch durfte er, was damals nicht wenig werth
war, auf keinen Fall gefoltert werden. Bei der Promotion
musste der Oandidat den Decan und die Prioren mit goldenen
Ringen, Biretten und Handschuhen ausstatten. Der promovi-
rende Professor erhielt Tuch zu einem Kleide von derselben
Farbe, welche der Gandidat trug, offenbar um das Auge des
Zuschauers nicht zu verletzen, wie man etw;a heutzutage die
Farbe des Blumenstrausses mit derjenigen des Kleides in
Einklang bringt. Petrarca schildert es als echter Dichter,
wie ein thörichter Jüngling bei Glocken- und Trompeten-
schall unter dem Jauchzen der Menge mit dem Doctorhute
gekrönt als ein Weiser von dem Meisterstuhle herabsteige,
auf welchen er als Thor hinaufgestiegen sei, eine grössere
Metamorphose, als Ovid sie kenne. Selbst das Concil von
Vienne fühlte sich veranlasst, eine Beschränkung der Pro-
motionskosten anzuempfehlen.
Bildete hiernach die Doctorpromotion ein reich mit
Die Universität Bologna im MiMdaUer, 31
Prunk ausgestattetes Eingangsportal zu der Professoren-
würde, so wurde auch das Leben der Lehrer von Bologna
in späterer Zeit ein immer glänzenderes. Von den sehr
bedeutenden Honoraren für ihre Unterrichtsthätigkeit und
für die Ertheilung von Gutachten, sowie von den später
aufkommenden Gehältern erwarben sich die Professoren
prächtige Häuser und Landgüter. Odofredus nahm von
zwei Zuhörern eine Summe, von welcher ein junger Mann
damals ein ganzes Jahr hätte leben können, und doch be-
schloss derselbe Gelehrte eine Vorlesung mit der Bemerkung,
dass er keine ausserordentlichen Vorlesungen mehr halten
werde, weil die Studenten zwar gern etwas lernten, aber
ungern bezahlten. Wegen rückständiger Honorare durften
die Professoren sogar die Bücher der Studirenden abpfän-
den. Gehaltszusicherungen erhielten die Professoren erst
im dreizehnten Jahrhundert von der Gemeinde. Da sie
nicht eigentlich staatlich approbirte Beamte waren, sondern
nur als ein Mittel, die Studentenschaft zu fesseln, angesehen
wurden, so ist es nicht .wunderbar, dass man bei ihrer Be-
soldung in Italien vielfach, wie es heutzutage bei den
dramatischen Künstlern geschieht, auf die Gunst des
Publikums Bücksicht nahm' und nur für eine gewisse Zeit
und auf sehr verschiedene Summen mit ihnen contrahirte.
Bisweilen war die Verlängerung des Vertrages sogar da-
von abhängig, dass der berufene Gelehrte etwas Neues
entdeckte; selbst ein Galilei vermochte seine Stellung
32 Die Universität Bologna im Mittelalter.
in Padua nur durch immer jieue Entdeckungen zu be-
haupten.
Die Einnahmen der Professoren erscheinen dann als
doppelt bedeutend; wenn man sie mit den ausserordentlich
geringen Preisen der Lebensmittel vergleicht; hundert Eier
kosteten z. B. damals fünf Bolognien, das sind etwa sieben
Pfennige, waren somit ungefähr hundertmal billiger, als sie es
zur Zeit (1883) in Göttingen sind. Jeder Antrag auf Herab-
setzung der Promotionsgebühren war bei Strafe verpönt.
Nur ein Gandidat, und zwar der würdigste, sollte jährlich
„um GotteswiUen" umsonst promovirt werden.
Da man von den Professoren durchaus eine selbststän-
dige wissenschaftliche Production verlangte, so bedurften sie
auch der Möglichkeit einer ununterbrochenen, zusammen-
hängenden Arbeit und einer umfangreichen Erholungszeit;
beides sicherten sie sich durch lange Sommerferien. An-
dererseits scheint man es schon damals empfunden zu haben,
dass in der Lehrthätigkeit Unterbrechungen nur im äusser-
sten Nothfalle zulässig sein können; wenigstens gehört dahin
die etwas eigenthümliche Bemerkung des Odofredus, der
grosse Jurist Azo sei so gewissenhaft gewesen, dass er immer
nur in den Ferien krank war und, wie es heisst, demgemäss
auch in den Ferien gestorben ist.
Auch für das leibliche Wohl der Studenten war in
mehrfacher Weise gesorgt. Der Ertrag einer besonderen
Steuer wurde dazu verwendet, den Studirenden jährlich eine
Die Universität Bologna im Mittelalter. 33
allgemeine Lustbarkeit zu gewähren; die Miethspreise wurden
alle Jahre von vier vereideten Taxatoren revidirt, damit
nicht die reicheren Studenten sie in ungebührlicher Weise
in die Höhe trieben. Brannte ein Haus ab, so wurde der
Student von der Stadt aus einquartirt. Auch durfte er,
falls er einep Ersatzmann stellte, ausziehen, sobald er mit
seinem Wirthe in Streitigkeiten gerieth. Für den Credit
der Studenten sorgte ein der Universität gehöriges Leihhaus
und eine Anzahl von Pfandleihem, welche auffallender
Weise magni nuntii, d. h. grosse Boten, hiessen; die sog.
kleinen Boten waren die Personen, welche den Verkehr der
Studirenden mit der Heimat vermittelten und durch Zu-
sicherung des Kaisers und der Stadt freies Geleit genossen.
Zu den Hauptunkosten der Studien mochte wohl die An-
Schaffung der Bücher gehören, deren Preise zwar gleichfalls
in Bologna gesetzlichen Taxen unterlagen, aber im Mittel-
alter sehr hoch gewesen sein müssen. Als Beweis hierfür
hat man öfters das Testament einer Wittwe citirt, welche
gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts ihrer Tochter als
hauptsächliches Erbtheil ein Exemplar des corpus juris hinter-
liess und ihr anrieth, einen Doctor der Rechte zu heirathen,
damit ihr werthvoUes Erbgut eine angemessene Verwen-
dung finde.
Wenn wir auf das Bild zurückblicken, das bisher zu
entrollen versucht wurde, so werden wir nicht bestreiten
können, dass es viele Züge trägt, welche sich zwar aus
34 Die Universität Bologna im Mittelalter.
geschichtlichen Gründen erklären, uns aber trotzdem einen
wenig befriedigenden Eindruck hinterlassen. Wir dürfen
es sicherlich als einen Fortschritt bezeichnen, dass die
deutschen Universitäten von vornherein sich nicht bloss Bo-
logna, sondern auch Paris zum Vorbilde genommen haben.
Wir würden uns jedoch sehr tauschen, wenn wir nicht ein-
sehen wollten, dass trotzdem aus den zunächst befremd-
lichen und aus gutem Grunde wohl für immer beseitigten
Eigenthümlichkeiten der erstgenannten Universität und den
ihr nachgebildeten italienischen Unterricbtsstätten zum grossen
Theile die Entstehung unserer heutigen Culturzustände und
der wesentlichsten Grundlagen unseres höheren Unterrichts-
wesens erklärt werden muss. Diese völlige Unabhängigkeit
der Studentenschaft von Bologna, welche nur eine Folge
der Unvollkommenheit der mittelalterlichen Zustände war,
erwies sich als ein Hauptausgangspunkt ihrer Beseitigung;
sie hat den Humanismus, die Renaissance und die Refor-
mation vorbereitet. Auch wo die Wissenschaft von Un-
bildung und Ignoranz erstickt ist, zeigen sich trotzdem stets
und überall die Keime zu ihrer Wiederbelebung; denn un-
vertilgbar ist das Bedürfniss nach Erhaltung des Lebens,
welches die Medicin, und dasjenige nach einer menschen-
würdigen Gestaltung der Existenz, welches Theologie und
Jurisprudenz nach sich zieht; das letztere wurde sogar im
Mittelalter — und dies können wir sicherlich nicht tadeln
— dem ersteren weit vorangestellt. Jene praktischen Doc-
Die Universität Bologna im Mittelalter, 35
trinen bedürfen jedoch eines hohen Standes der anderen
Wissenschaften, um daraus ihre Lebensluft zu schöpfen.
Glücklicher Weise läßt sich bei ihnen nicht die Theorie
von der Praxis, noch das Besondere von dem Allgemeinen
trennen. So trieb das Elend der mittelalterlichen Wirren
zur Wiederbelebung des römischen J^aiserrechts, bei dessen
Geltung Ordnung im Lande geherrscht hatte. Als Kaiser
Rothbart auf dem Koncalischen Reichstage Gericht hielt,
nahten sich ihm unzählige Schaaren, welche ihm ein Kreuz
als das Zeichen der Hilfesuchenden entgegenstreckten. „Wie
kommt es," sagte der Kaiser, „dass hier in dem Lande des '
Rechtes so Viele nach der Gerechtigkeit hungern und
dürsten?" Allen diesen durch Wiederbelebung des römischen
Rechtes zu helfen, war das Gebot der Menschenliebe wie
der Herrschsucht. Betrat man aber erst einmal hier die Bahn
freier wissenschaftlicher Forschung, so war kein Halten
mehr. Charakteristisch ist in dieser Hinsicht eine Fabel
über die Entstehung der Rechtsschule von Bologna. »Der
Philologe Imerius soll nach der Bedeutung des Wortes os,
der Bezeichnung einer bekannten römischen Münze, geforscht
haben ;^ zu diesem Zwecke habe er, so heisst es, die sämmt-
lichen Rechtsquellen durchstudirt und dadurch die Glossa-
torenschule begründet. Dies ist sicherlich unglaubwürdig
und enthält doch einen tieferen Sinn, nämlich die Wahr-
' Dies soll im Hinblicke auf das Evang. Matth. X, 29 geschehen
sein; vgl. Fitting a. a. 0. S. 95.
o *
36 Die Universität Bologna im Mittelalter,
heit, dass Philologie und Jurisprudenz sich schlechterdings
nicht von einander trennen lassen. Weit mehr noch zeigte
sich dies in der Fortentwickelung der Eechtslehre, als in ihrer
Entstehung. Die Auslegung der juristischen Quellen trieb
zur römischen Philologie und indirect zur römischen und
griechischen Dichtung und Philosophie hin. Was man am
Rechte gelernt hatte, verwerthete man auf anderen Gebieten.
Zu den Füssen der Rechtsgelehrten Bolognas sassen in
älterer Zeit Abälard, gegen Ende des Mittelalters Petrarca
und Ulrich von Hütten, letzterer freilich nicht ohne aus
dem „Accursianischen Absynthe", wie er das schlechte
Glossatorenlatein nannte, eine heilsame Erbitterung gegen
die mangelhafte Latinität der Dunkelmänner in sich ein-
zusaugen. Durch die Förderung der Auslegungskunst wurden
Tausende von Laien in den Stand gesetzt, später durch
Kritik der heiligen Schrift diie Lehren der Reformation selbst
zu prüfen. Das kirchliche Monopol der Alleinherrschaft
auf dem Geistesgebiete wurde durchbrochen; neben den
Klerikern breitete sich eine gewaltige Schicht von gelehrten
Juristen und Aerzten aus, welche ihnen geistig ebenbürtig
war und der Reformation als feste Grundlage diente. Aus
ihr und vornehmlich mit Hilfe der Doctoren beider Rechte
ist auch der moderne Staat herausgewachsen, eine Ver-
einigung des praktisch -politischen Sinnes der Römer und
der wohlwollenden Fürsorge für die Armen und Schwachen,
deren sich das canonische Recht rühmen darf. Wir können
a^msus^saaa^mmmammmm^tmtKM
Die Universität Bologna im Mittelalter. 37
daher geradezu behaupten, dass in Bologna antike und
christliche Ansichten zu einer neuen Weltanschauung ver-
schmolzen worden sind. Alles dies geschah nicht als das
Ergebniss irgend welcher absichtlichen Berechnung, aber
es war die unab wendliche Folge davon, dass die Autori-
täten jener Zeit eine große Gemeinde dulden mussten, welche
sich inmitten der Finsterniss des Mittelalters in dem Lichte
wissenschaftlicher Freiheit sonnte.
Ebenso unbeabsichtigt und doch segensvoll waren die
Folgen der anscheinend so verkehrten und längst glücklich
überwundenen Unterordnung der Lehrer unter die Scholaren.
Ihr verdanken wir es, dass im Widerspruche zu dem Geiste
der Klosterschulen sich Grundsätze entwickelten, welche
noch heutzutage unser höheres Unterrichtswesen beherrschen.
Zunächst der Satz, dass auf der höchsten Stufe des Wissens
das Bild des Ueberlieferten ohne stete Erneuerung ver-
blasst und folgeweise hier nicht die blosse Reproduction,
sondern die Originalschöpfung herrschen muss. Hier ist ein
steter Fluss der Fortentwickelung; es giebt keinen ruhigen
Besitz, sondern nur Vervollkommnung oder Rückschritt.
Ferner stammt aus Bologna der Grundsatz, dass der Werth
der . akademischen Leistungen in erster Linie nicht nach
obrigkeitlichen Approbationen geschätzt wird, sondern nach
den offen zu Tage liegenden Erfolgen der wissenschaftlichen
Production und des Unterrichts. In dieser Hinsicht sind
die Lernbeflissenen bis zu einem gewissen Grade noch heute
38 Die Universität Bologna im Mittelalter.
die Herrschenden. Femer stammt aus jener Zeit die Er-
kenntniss, dass eine discipliAarische Controle des Studiums
mit der vollen Unbefangenheit eines wahrhaft wissenschaft-
lichen Unterrichts unverträglich ist. Endlich aber wurde
in Bologna im Gegensatze zu der nationalen Beschränktheit
des antiken Geisteslebens der herrliche Grundsatz ver-
wirklicht, dass die Wissenschaft zu allen Nationen reden soll.
Auffallend und erfreuUch ist es aber, dass in Bologna
gerade die Deutschen vor allen anderen Nationen durch
viele Privilegien bevorzugt waren und nicht bloss eine gast-
liche, sondern geradezu eine heimatliche Stätte fanden.
Nicht bloss Rücksicht auf den Stifter der Glossatorenschule
Irnerius, auch Wernerius oder Warnerius genannt, welcher
ein Deutscher gewesen sein soll, nicht bloss Bespect vor
dem Kaiser können die Ursache hiervon gewesen sein. Diese
lag vielmehr in der Anerkennung eines besonderen Eifers
und einer hervorragenden Veranlagung fiir das unbefangene
Verständniss des Fremden und Vergangenen, welche man
unseren Landsleuten zusprach.
Nun ist es eine merkwürdige Erscheinung, dass gerade
in der letzten Zeit die italienische Wissenschaft des römischen
Rechtes aufmerksam nach der deutschen herüberblickt, wie
einst diese im Mittelalter nach Italien hinüber sah. Fast
alle Erzeugnisse auf dem Gebiete der deutschen romanisti-
schen Rechts- Wissenschaft finden jenseits der Alpen eine
eingehende Berücksichtigung. Kann somit Deutschland hier-*
i
Die Universität Bologna im Mittelalter, 39
durch vielleicht für die einst empfangene Gastfreundschaft
eine Gegengabe darbieten, so müssten wir doch undankbar
sein, wenn wir die Annäherung der benachbarten Nation,
welche sich neuerdings in dieser Form, wie in vielen anderen,
vollzieht, nur aus dem genannten Gesichtspunkte betrachten
und nicht vielmehr mit der ganzen und vollen Herzlichkeit
begrüssen wollten, Vielehe als Nachklang des einstigen eifrigen
Zusammenarbeitens an der Bologneser Hochschule uns geziemt.
Der Boden aber, auf welchem uns das Recht wieder-
gewonnen wurde, welches uns jetzt schützt und schirmt^
soll uns heilig sein und bleiben als eine Stätte, mit deren
Wirken das Edelste und Beste, was wir besitzen, in er-
kennbarem Zusammenhange steht.
Bei uns erschien:
jum Dergteid^cnben ©tubium
^ttboCf c^eon^arb.
8. 1887. geh. 1 J( 60 .^.
Leipzig.
Veit & Comp.
Verla g von VKIT & COMP, in Leipzig.
*^™^— ^— ^^— '^^— ^»— ^^— ■' ■ i^— ^M^i^^»— ^— ^M^— ^^— ^»— ^— ^— W^— ^»^^i^M^^^^
REDEN
von
EmiLJo Bois-ReymoDd.
Erste und zweite Folge.
2 Bände (erste und zweite Folge), geh. 17 Jfy eleg. geb. 2% M.
Erste Folge.
Litteratur, Philosophie, Zeitgeschichte. '
gr. 8. 1886. geh. 8 -Ä; eleg. geb. 10 Ji,
Inhalt: Voltaire als Naturforscher. — Leibnizische Gedanken in der
neueren Naturwissenschaft. — Aus den Tagen des norddeutschen Bundes.—
Der deutsche Kriesr. — Das Kaiserreich und der Friede. — Üher ^ Gren-
zen des Naturerkenn ens. — Über eine kaiserliche Akademie der deQtB<üien
Sprache. — La Mettrie.. — Darwin versus Galiani. — Culturgeschiehte wid
Naturwissenschaft. — Über das Nationalgefühl. — Friedrich II. und Bons- \
seau. — Die sieben Welträtsel. — Friedrich II. in englischen ürteÜen. —
Die Humboldtdenkmäler vor der Berliner Universität. — Diderot. j
Zweite S*olge. :
Biographie, Wissenschaft, Ansprachen.
gr. 8. 1887. geh. 9 Ji\ eleg. geb. 11 Ji.
Inhalt: Über die Lebenskraft. — Über thierische Bewegung. — Ge-
dächtnissrede auf Erman. — Eduard Hallmann's Ijeben. — über leben«!
nach Berlin gebrachte Ziiterwclse aus Westafrika. — Gedächtnis^rede auf
Johannes Müller. — Über üniversitätseinrichtungen. — Über Geschichte
der Wissenschaft. — Der physiologiache Unterricht sonst und jetzt. . — 'As^
den Llanos*. — Über die Übung. — Über die wissenschaftlich«! Zustände
der Gegenwart. — Die Britische Naturforscherversammlung zn South amptoQ
im Jahre 1882. — Darwin und Kopernicus. -^ Die Berliner Französi&ehc
Colonie in der Akademie der Wissenschaften. — Akademische Anspraeheo.
Die Reden von Emil du Bois-Reymond eignen sich auch in
hervorragender Weise zu Fest- und Gelegenheitsgeschen-ken.
Biese, Alfred, Die Entwickelung des f^aturgefüMs im Mittel-
alter und in der Neuzeit, gr. 8. 1888. '
geb. 8 o#, in Halbfranz geb. 10 d({.
Das Verhältnis des Menschen zur Natur, wie es sich im Laufe der
Jahrhunderte entwickelt und verändert hat, ist eines der kulturgeschicht-
lich und litterar-historisch interessantesten Probleme. Das moderne Natur-
empfinden ist uns Allen geläufig, verständlich aber wird es erst aus der
Vergangenheit, ans den geschichtlichen Wandlungen, die der Verfasser
in fesselnder Weise zur Darstellung bringt.
Druck von Metzger & Wittig in Leipzig.